
Im Jahr 2022 hat die Anzahl der Menschen die Acht-Milliarden-Marke geknackt. Gleichzeitig sind aus dem Klimawandel resultierende Umweltveränderungen die größte Herausforderung für die Versorgung der weltweiten Bevölkerung. Nachhaltigkeit wird zum Schlüsselfaktor, auch in der Nahrungsmittel- und Getränkeproduktion. Im Interview mit LMV-online.de spricht Reinholt Schlechter von Schneider Electric über die Möglichkeiten für Lebensmittelhersteller, durch hardwareunabhängige und statt dessen software-basierte Automatisierungslösungen Energie in allen Bereichen einzusparen, den Einsatz von Ressourcen wie Wasser oder Chemikalien zu reduzieren und vor allem Produktionsstillstände auf ein absolutes Minimum zu begrenzen. Er stellt konkrete Beispiele aus der Praxis vor, wie Unternehmen Betriebskosten einsparen und ihren CO2-Fußabdruck verringern können.
1. Amuse-Gueule
LMV-online.de: Gestörte Lieferketten, Gas- und Energiekrise, Klimawandel, Lebensmittelknappheit – die Liste an Herausforderungen im Jahr 2022 für Gesellschaft und Wirtschaft war endlos lang. Herr Schlechter, wie ist Schneider Electric mit dieser Situation umgegangen?
Schneider Electric hat vor den gleichen Herausforderungen wie alle anderen Unternehmen gestanden. Auch wir haben unter gestörten Lieferketten gelitten, sorgen uns um Mitarbeiter in der Ukraine und müssen mit hohen Energiekosten umgehen. Aber aufgrund kluger Entscheidungen in der Vergangenheit waren wir ganz gut gewappnet. Unsere multi-lokale Unternehmensstruktur zum Beispiel hat uns vor größeren Schäden durch gestörte Lieferketten bewahrt. In einigen Fällen konnten wir zudem mit einem Redesign unserer Geräte die Versorgungssicherheit sicherstellen. Und auch beim Thema Energie profitieren wir natürlich von den über viele Jahre aufgebauten Kompetenzen im eigenen Haus. Unsere Standorte haben wir weltweit bereits zu 80 Prozent auf regenerative Energieversorgung umgestellt. Einige arbeiten sogar schon seit Jahren klimaneutral. Und natürlich profitieren wir davon, dass wir die Expertise für Energie- und Lastmanagement im eigenen Haus haben. So können wir den Energieverbrauch in unserer Produktion möglichst effizient steuern. Zudem sind wir Mitglied in der Non-Profit-Userorganisation „UniversalAutomation.Org“. Obwohl wir ein Hardware-Hersteller sind, haben wir uns entschieden, mit unserem EAE-Ansatz einen software-zentrierten, hardware-unabhängigen Weg in der industriellen Automatisierung zu verfolgen. EAE ist die Abkürzung für „EcoStruxure Automation Expert“ - unser software-basiertes industrielles Automatisierungssystem, das den gesamten Lebenszyklus in der Produktion verbessert und Automatisierungsapplikationen von der Hardware entkoppelt.
2. Vorspeise
LMV-online.de: Mit seinen IIoT-Lösungen verfolgt Ihr Unternehmen ganzheitliche Vernetzungskonzepte. Was bedeutet das konkret und wie profitieren Ihre Kunden davon?
Mit IIoT-basierten Lösungen für intelligentes Condition Monitoring, vorausschauende Wartung oder Remotemanagement können Unternehmen die Verfügbarkeit und Resilienz ihrer Anlagen deutlich steigern. Durch eine ganzheitliche und durchgängige Vernetzung bauen wir Datensilos ab und bringen Kunden, Partner und operative Bereiche in einem gemeinsamen Ökosystem zusammen. Davon profitieren sowohl Produktivität als auch Nachhaltigkeit. Mit der IoT-Architektur „EcoStruxure“ sind wir zum Beispiel im Bereich Lebensmittelproduktion in der Lage, elektrotechnische Komponenten, Steuerungen und Softwarelösungen durchgängig zu vernetzen. Auf diese Weise entsteht eine enge Verzahnung von Betriebstechnologie und IT, die über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage hinweg die kontinuierliche Optimierung von Workflows und Prozessen erlaubt.
Im Laufe der Jahre sind auf die Nahrungsmittelindustrie spezialisierte Softwareunternehmen wie Proleit oder Aveva Teil der Schneider-Familie geworden. Dazu kommen Partner, beispielsweise Microsoft mit der Azure Cloud. Mit dieser Expertise haben wir ein Ökosystem für die intelligente Nutzung von Daten geschaffen, das auch erzkonservative Bereiche wie beispielsweise die Milchverarbeiter für sich einnimmt. Als Fördermitglied im Zentralverband der Milchwirtschaft merken wir, dass aktuell ein Umdenken stattfindet. Wo früher die Daten nicht aus der Hand gegeben wurden, switchen die Unternehmen um. Cloudlösungen sind plötzlich kein Tabu mehr. Wenn man an ein ganzheitliches und durchgängiges Vernetzungskonzept in einem herkömmlichen Milchproduktionswerk denkt, erkennt man echten Handlungsbedarf. Controller ganz vieler Hersteller und unterschiedlicher Generationen sind dort verbaut. Mit einem Industrie-PC wie unserer „GreenBox“, der über entsprechende Kommunikationstreiber verfügt, können Steuerungen von Schneider Electric und aller anderen Marktbegleiter jeder Generation angeschlossen werden, um Daten zu sammeln.
Ein Kredo von Schneider Electric lautet: Produktionsstillstand soll so kurz wie möglich gehalten werden. Wenn etwas defekt ist, muss es ohne viel Aufwand ausgetauscht werden. Mit unserem „Fast Device Replacement“ werden alle Daten über eine Kopfsteuerung direkt übertragen, ohne aufwändiges Rumhantieren mit Kabeln, einfach Plug & Play. In die gleiche Kerbe schlagen wir übrigens mit unserem herstellerunabhängigen Automatisierungsansatz. Wir unterstützen die „UniversalAutomation.Org“, die ein herstellerübergreifendes Betriebssystem für Automatisierungskomponenten als Shared Ressource zur Verfügung stellt. Die Lebenszyklen von Software und Hardware sind bei diesem Ansatz entkoppelt. Wenn also in einer Lebensmittelproduktion beispielsweise ein IPC ausfällt, kann im Notfall einfach der nächste verfügbare Laptop oder PC angeschlossen werden. Ohne Rücksicht auf Hersteller oder Generation wird das vorhandene Programm dann einfach von dem neuen Gerät berechnet. Der Prozess kann so direkt weiterlaufen. Der Gedanke ist revolutionär, weil man nicht mehr hardware-abhängig ist, sondern die Software anbieterübergreifend wiederverwendet werden kann.
Hätten wir schon viel früher damit angefangen, wären OEMs besser durch die Krise gekommen. Sie hätten einfach auf verfügbare Komponenten geswitcht, statt ihre Maschinen nicht fertigzustellen. Und das Kundenfeedback bestätigt uns: Hardware-Unabhängigkeit ist genau der richtige Ansatz, geschlossene Herstellersysteme werden zukünftig keine Rolle mehr spielen. Das entspricht der Idee des IoT und ist die Antwort von Schneider Electric, aber auch den zahlreichen anderen Mitgliedern der „UniversalAutomation.Org“, für einen wirtschaftlich verträglichen Klimaschutz. Denn wirtschaftliche und ökologische Interessen überschneiden sich hier. Wenn man mit einer von Nachhaltigkeitsaspekten geprägten Digitalisierung das Unternehmen und die Produktion ausfallsicher macht, zum Beispiel Lebensmittelverluste vermeidet, ist das sowohl ökonomisch als auch ökologisch. Zusammengefasst lassen sich Bottlenecks besser aufdecken, man lernt die Produktionslinie besser kennen und kann durch Digitalisierung nachhaltiger agieren.
3. Zwischengang
LMV-online.de: Gerade in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie muss die Produktion reibungslos laufen, der Kostendruck ist enorm. Wie können die Hersteller energieeffizienter und damit kostengünstiger produzieren, ohne ihren Maschinenpark auszutauschen?
Das Potential von Energieeffizienz wird oftmals unterschätzt. Auch kleine Wirkungen summieren sich. In der Prozessindustrie liefern bereits zwei bis drei Prozent eine unglaubliche Energieeinsparung. Gerade bei energieintensiven Prozessen stellt sich die Frage, wie der Energieverbrauch reduziert oder der Energieträger gewechselt werden kann. Dafür müssen Energiedaten sichtbar gemacht werden. In vielen Fällen geht das sogar einfacher als gedacht. So ist es zum Beispiel möglich, kleine Energiezähler mit Funk-Schnittstelle direkt auf die Reiheneinbaugeräte im Schaltschrank aufzusetzen. Aber auch Temperatur- oder Strommessgeräte lassen sich nachträglich störungsfrei installieren, vor allem, wenn sie kabellos und magnetisch angebracht werden können. Wenn diese Komponenten dann innerhalb einer digitalen Lösungsarchitektur miteinander kommunizieren und Daten liefern können, werden Prozessgeschehen und Energieverbrauch kombiniert visualisiert.Daneben ist Software der Schlüsselfaktor, ohne in der Prozessindustrie bestehende Verfahren aufwendig zu ändern. In einem Projekt haben wir zusammen mit einem Berater untersucht, wie produzierende Unternehmen Kohlendioxid einsparen können, auch in Hinblick auf EEG-Umlage und CO2-Steuer. Selbst im relativ kleinen Bereich der industriellen Automatisierungstechnik konnten wir Einsparungen erzielen. So bestehen Servosysteme in Verpackungsanlagen oder Füllern aus einem großen Antrieb und vielen Nebenanlagen für alle möglichen Bewegungen im Prozess. Sie benötigen sehr viel Energie. Mit unserem Auslegungstool konnten wir feststellen, wie viel Energie für das Gesamtsystem aller Achsen aufgewendet wird. Aus einem Energiepool, der über einen Zwischenkreis generiert wird, können sich die Systeme nach und nach bedienen. Auch fließt Bremsenergie wieder zurück. Über die Summe aller Start- und Bremsbewegungen wird das Energielevel ausbalanciert. Der Anlagenbetreiber muss trotz vieler Antriebe kaum Energie aus dem Netz ziehen. Die effiziente Technologie und unsere digitalen Auslegungstools können den Produktionsprozess so an verschiedenen Stellschrauben nachjustieren. Generell gesagt: Spitzenlasten müssen möglichst niedrig gehalten werden. Hier liegen hohe Einsparpotentiale, denn die Spitzenlast bestimmt den Grundpreis für die Energieaufwendungen. Und die Software zeigt dem Bediener diese Einsparpotentiale auf.
Wir bieten aber nicht nur Software, sondern auch Beratung, um die Daten richtig zu verstehen. Mit einer eigenen Abteilung stehen hochqualifizierte Energie- und Nachhaltigkeitsexperten für die Bestimmung der richtigen Datenpunkte helfend zur Seite. Über das richtige Know-How lässt sich der individuelle Return on Investment optimal ausschöpfen.
Vor kurzem durchbrach die Anzahl der Menschen auf der Erde die Acht-Milliarden-Marke. Damit wird die Versorgung der weltweiten Bevölkerung vor gewisse Herausforderungen gestellt, etwa wenn es um genügend Bodenfläche für die Landwirtschaft geht. Wir sind gerade in Gesprächen mit einem Unternehmen für Vertical Farming. Da bin ich Feuer und Flamme. Dieses Konzept bedarf eines gut funktionierenden Energiemanagements für die hohen Gebäude. Über Beleuchtung wird künstliche Sonne erzeugt. Das konsumiert zunächst erstmal Energie. Aber die entstehende Abwärme kann für umliegende Häuser oder als Fernwärme genutzt werden. Auch kann man Nährstofflösungen über den Tag als Energiespeicher verwenden. Das Projekt zeigt: Auch innovative Ideen, die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit verbinden, können mit dem heutigen Stand der Technik leicht umgesetzt werden. Es braucht nur den Mut, es anzugehen. Und bei Schneider Electric sind wir genau für solche Vorhaben ein idealer Partner. Denn wir brennen für unsere Arbeit und denken uns in diese besonderen Anwendungen hinein, um Lösungen für die Pain Points der Kunden zu liefern.
4. Hauptgang
LMV-online.de: Können Sie unseren Lesern konkrete Beispiele aus der Praxis vorstellen, wie sich mit solch einer Software-Lösung der Energiebedarf ohne Hardware-Modernisierung senken lässt?
Mit der Software „EcoStruxure Clean-in-Place-Advisor“ hat Schneider Electric eine Lösung, die besonders für die Lebensmittelproduktion spannend ist. Denn es geht um die Optimierung von Hygieneprozessen und die Beseitigung von Mikroverunreinigungen. Der Bereich von milchhaltigen Erzeugnissen ist so ein Beispiel. Die Software nutzt dafür entweder bereits vorhandene Sensoren oder man installiert Funk-Sensorik über Magnete. Es ist zwar kein selbstlernender Algorithmus, aber darum geht es auch nicht. Der optimale Reinigungszyklus soll genauso gefahren werden wie gewünscht. Sobald es Abweichungen von Temperaturen oder Chemikalienzusammensetzungen gibt, meldet unsere Software das. Zudem auditiert das System alle Reinigungsprozesse, und der Produzent hat die notwendigen Nachweise über die Reinigungsqualität.
Mit diesem „Clean-in-Place-Advisor“ haben wir eine Lösung entwickelt, die sich genau deshalb wirtschaftlich auszahlt, weil sie nachhaltig ist. Denn bei Reinigungsprozessen spielt gerade der Chemikalien- und Wassereinsatz eine große Rolle. Außerdem muss für die Wasserdampferzeugung Energie aufgewendet werden. Durch den Einsatz der Software lassen sich bis zu 30 Prozent an Wasser und Chemikalien einsparen, damit auch Energieverbrauch und CO2-Austoß. Unser Kunde Nestlé Waters setzt das System für die Produktion seiner Marke Perrier in Frankreich ein. Es konnten nicht nur Ressourcen im CIP-Prozess eingespart werden. Durch die effiziente Reinigung ist der Produktionsstillstand um 20 Prozent reduziert worden. Das zeigt, dass die digitalen Lösungen von Schneider Electric direkt einen Erfolg bringen, belegbar mit konkreten Zahlen und Euro-Beträgen.
5. Dessert:
LMV-online.de: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Wir haben uns heute viel über Nachhaltigkeit ausgetauscht. Liegt Ihnen dieses Thema auch privat?
Ganz klar liegt mir Nachhaltigkeit am Herzen. In einem Unternehmen wie Schneider Electric hat das Thema oberste Priorität. Über 80 Prozent aller Schneider Produkte enthalten keine schädlichen Stoffe mehr. Beispielsweise haben wir das Gas Schwefelhexafluorid (SF6) in Schaltanlagen ersetzt, denn es ist 23.000 Mal klimaschädlicher als CO2. Wir haben nur die eine Welt und müssen einfach etwas tun. Und wenn es nur viele kleine Dinge sind. Das können Blühstreifen wie an unserem Standort in Seligenstadt sein. Mein Dienstwagen ist ein E-Auto und jüngst habe ich mir eine Balkon-Photovoltaik-Anlage angeschafft. Ich versuche, unser Leben nachhaltiger zu gestalten. Zwar haben wir einen Pool, darüber lässt sich streiten, aber auch dieser wird über eine Solaranlage beheizt. Wenn es bei uns tierische Produkte gibt, sind diese meist Bio. Wir passen unser Konsumentenverhalten entsprechend an, vermeiden Lebensmittelverschwendung. Überhaupt geht mir die ganze Wegwerfgesellschaft gegen den Strich. Als gelernter Elektroniker wandert bei uns kein Gerät in den Abfall, welches ich nicht eigenhändig nochmal zerlegt habe, um es vielleicht doch noch zu retten. Auf der Anuga Foodtec habe ich Insektenproteine probiert, Chips aus Grillenmehl mit Tomate und Oregano, hat gut geschmeckt! Solche Alternativen oder Vertical Farming können helfen, die Menschen weiterhin mit Lebensmitteln zu versorgen, ohne noch mehr Natur für größere Weideflächen oder Felder zu verändern. Jeder sollte sich an die eigene Nase fassen, seinen Beitrag leisten und auch mal offen für Neues sein!
Herr Schlechter, wir danken Ihnen für dieses interessante Gespräch!
Hintergrund über Reinholt Schlechter
Reinholt Schlechter ist Segment Manager F&B bei Schneider Electric DACH. Als Fachmann für Automatisierungstechnik konnte der studierte Diplom Ingenieur für Elektrotechnik im Verlauf seiner Karriere viel Erfahrung mit weltweiten Inbetriebnahmen sammeln. Dazu zählen Projekte in den Bereichen Kraftwerkstechnik, Mischanlagen und Automobilzulieferung. Im Jahr 2006 wechselte Schlechter als Applikationsingenieur für Verpackungstechnik von Elau zu Schneider Electric und leitet, nach verschiedenen Zwischenstationen im Vertrieb, seit 2018 das Segment Lebensmittel- und Verpackungsindustrie.