Vier Gänge mit fünf Fragen: Winfried Hartwig im Interview
Business Lunch mit Handtmann über die Zukunft pflanzlicher Fleischalternativen
Montag, 24. Juni 2024
| Redaktion
Share on:
Winfried Hartwig von Handtmann
Hartwig im Business Lunch-Interview, Bild: LMV-online.de / Susanne Woggon

Seit mehr als 20 Jahren ist Handtmann mit Verarbeitungstechnologie im Bereich vegetarischer und veganer Lebensmittel aktiv. Den Anfang machte der Maschinenbauer mit pflanzenbasierten Würstchen in Alginathülle. Das Conpro-Sachet-System, das Lebensmittel umweltfreundlich in eine alginatbasierte Hülle verpackt, wurde in diesem Jahr im Rahmen der Anuga Foodtec mit dem „International FoodTec Award“ in Gold für das wegweisende Verfahren zur Reduzierung von Verpackungsmüll aus Kunststoff ausgezeichnet. Winfried Hartwig ist bei Handtmann Branchenmanager für „Alternative Proteine“. Auch wenn sich ab und an ein Stück Fleisch auf seinen Teller verirrt, brennt er für pflanzenbasierte Fleischalternativen und hat uns im exklusiven Interview verraten, wie das erste und wirklich leckere Plant-based Steak im industriellen Maßstab entwickelt wurde, wie sich solche Produkte in Zukunft weiterentwickeln werden und welche Rolle die Digitalisierung bei den Produktionsanlagen spielt. 

1. Amuse-Gueule: Herr Hartwig, die Nachfrage nach alternativen Proteinen steigt stetig. Handtmann ist auf diesem Gebiet schon lange unterwegs. Welche Unterschiede bestehen bei der Verarbeitung von pflanzlichen und tierischen Proteinen? 

Im Bereich „Plant-based“ ist es unsere Kompetenz Rohmassen zu verarbeiten, in dem wir sie beispielsweise portionieren, dosieren, koextrudieren oder in Form bringen. Der erste Einstieg war vor 20 Jahren über vegane Würstchen, die eine pflanzliche Hülle brauchten und in Alginathülle abgefüllt wurden. Seit zehn Jahren arbeiten wir verstärkt im Bereich alternativer Proteine. Obwohl sich pflanzliche und tierische Proteine bei der Verarbeitung völlig unterschiedlich verhalten, haben wir festgestellt, dass unsere Systeme flexibel genug sind, um beispielsweise Hackfleischprodukte aus Pflanzenproteinen oder Fleisch zu produzieren. Stellt man ein tierisches Produkt her, schränken dessen Eigenschaften die Verarbeitung stark ein. Wenn man ein pflanzliches Produkt verarbeitet, ist man flexibler, ob man beispielsweise kalte oder warme Geliersysteme einsetzt oder auch bei den Zutaten. In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir bei Handtmann ein enormes Know-how über das Verarbeiten pflanzenbasierter Massen aufgebaut. 

Sind Ihre Kunden in diesem Bereich eher Start-ups oder mittlere und große Unternehmen? 

Wir arbeiten mit Unternehmen aller Größen zusammen und bieten Systeme in vielerlei Ausprägungen und Leistungskapazitäten. Vor allem Start-ups brauchen kleine und flexible Systeme, um einfach eine Vielzahl an Produkten herstellen zu können. Deshalb empfehlen wir für den Anfang einen unserer Vakuumfüller, der sich an viele unserer Systeme anpassen lässt und mit dem Unternehmen mitwächst. Auch wenn dann in einem Start-up noch viele manuell läuft, kann es damit seine Kapazitäten deutlich erhöhen. Wenn die Nachfrage steigt, kann sehr einfach auf eine kleine automatisierte Lösung umgestiegen werden. Im Vergleich zur rein manuellen Produktion werden so Kapazitäten erreicht, dass sich der Vakuumfüller in sehr kurzer Zeit amortisiert. Zudem können alle Produktmassen verarbeitet werden. Das hat den Vorteil, dass sich ein Unternehmen jederzeit in eine andere Produktrichtung entwickeln kann, denn der Vakuumfüller ist flexibel genug, um diese Schritte mitzugehen. Der nächste Schritt wäre eine kleine automatisierte Lösung bis hin zu einer voll industrialisierten Linie, alles mit dem selben Vakuumfüller als Basis.  

In Verbindung mit einem Vorsatzgerät hat man direkt eine Lösung zur Dosierung oder Formgebung. Wir haben beispielsweise die Palette der Formsysteme stark erweitert, so dass flexibel sowohl 2D- als auch 3D-Formen wie Burger-Patties oder Nuggets mit einem System möglich sind. Damit kann eine sehr große Produktvielfalt auf einer Anlage hergestellt werden. Unser Anspruch ist es, unseren Kunden damit ein Höchstmaß an Flexibilität zu bieten, gerade weil diese Produkte einer hohen Dynamik unterliegen und ständig neue Entwicklungen gefragt sind. 

2. Vorspeise: Wenn Sie sagen, der Füller begleitet die Unternehmen ein Leben lang, wie sieht es dann mit der Digitalisierung aus - Stichwort Retrofit. Ist das alles schon berücksichtigt?

Auch Digitalisierung ist für uns seit 20 Jahren in vielfältigen Ausprägungen Standard, von maschinenintegrierten Einzellösungen bis zur Vernetzungslösung für die Produktion. Unsere Maschinen und Anlagen sollen überall funktionieren, einfach und praktikabel sein. Damit schaffen wir für unsere Kunden eine möglichst reibungslose Produktion. Zum Beispiel lassen sich an unseren Formsystemen Formatumstellungen mit wenigen Eingaben am Maschinendisplay intelligent lösen. Ein Beispiel aus der Praxis: Auf der Anuga Foodtec kam ein Kunde zu uns, der Hähnchenbrust auf pflanzlicher Basis herstellen wollte. Er war im Vorfeld auf der Suche nach einer Dosiereinheit mit Tiefziehwerkzeug. Im Gespräch haben wir ihm empfohlen, sich für ein hochflexibles Formsystem wie es unser Formsystem „FS 525" zu entscheiden, da seine Masse für eine Dosiereinheit zu fest war. Auf unserem Stand produzierte die Maschine gerade Burger Patties mit Muster. Mit ein paar Eingaben auf dem Display stellte unser Anwendungstechniker kurz das Programm um und in weniger als zwei Minuten kamen Hähnchenbrustfilets heraus. Der Kunde war sprachlos, wie einfach das ging.

Außerdem setzen wir seit jeher auf größtmögliche Schnittstellenoffenheit. So stellen wir sicher, dass unsere Kunden auch andere Linien integrieren können. Offene Schnittstellen sind also wichtig, damit die Maschinen verschiedener Hersteller miteinander kommunizieren können. Unsere Produktion endet mit dem fertigen Produkt und entsprechenden Optionen zum Produkthandling, wie Transfer- und Einlegesystemen in eine Verpackungslösung. Da wir uns aber als Partner für ganzheitliche Linienlösungen verstehen, pflegen wir für das Thema „Verpackung" eine Partnerschaft mit Multivac. So erhält der Kunde eine fertige Linie, die er digital in seine Systeme einbinden kann und machen ihm so das Leben wirklich leichter.

3. Zwischengang: Auf der Anuga Foodtec wurde am Handtmann-Stand ein pflanzliches Steak vorgestellt, das nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich sehr an das Original erinnert. Ist das auf Kundenwunsch entstanden oder was war der Anlass für die Entwicklung?

Steaks mit sichtbarer Fettmarmorierung wurden bisher mittels 3D-Druck realisiert. Damit ist es allerdings schwierig, eine ausreichende Menge für den Verkauf im Einzelhandel zu erreichen. Uns war klar, dass es für eine industrielle Skalierung mit einer lieferbaren Stundenleistung nicht nur auf die Anlage, sondern auch auf die verarbeiteten Zutaten ankommt. Deshalb sind wir eine Partnerschaft mit einem Hersteller von pflanzlichen Lebensmitteln eingegangen, dem Unternehmen Planteneers. So hat Handtmann eine neue Anlage für die industrielle Produktion von veganen Steaks konstruiert, und gleichzeitig hat Planteneers in enger Abstimmung mit uns die pflanzlichen Massen für die Anlage entwickelt. Dank dieser Zusammenarbeit konnten wir schnell eine optimale Lösung entwickeln, die alle Anforderungen sowohl an einen hohen industriellen Output als auch höchste Produktqualität erfüllt.

Der Plant-based-Markt ist extrem innovationsgetrieben. Produktentwicklungen sind sehr teuer, nur ein Bruchteil der neuen Produkte landet tatsächlich im Supermarktregal. Die enorme Nachfrage bestätigt uns, dass wir mit unserem Ansatz genau richtig liegen und den Nerv der Zeit getroffen haben. Mitte März 2024 haben wir die Patentierung des technischen Verfahrens abgeschlossen. Unsere Anlage schafft eine Tonne pro Stunde. Das ist ein Vielfaches dessen, was mit 3D-Druck möglich ist. Entsprechend groß ist die Nachfrage, auch von Unternehmen, die bisher alles in Eigenregie entwickelt haben. Seit der Anuga Foodtec wurden sehr viele Termine mit Interessenten in unserem Technologieforum vereinbart. Wir gehen fest davon aus, dass das vegane Steak in naher Zukunft in dieser Form im Handel erhältlich sein wird.

Wie wird das Steak hergestellt?

Das pflanzliche Steak ist ein Koextrusionsprodukt, was bedeutet, dass zwei unterschiedliche Massen gleichzeitig über einen Auslass extrudiert werden. Der große Unterschied und gleichzeitig die größte Herausforderung ist die unterschiedlich grobe oder feine Marmorierung. Sie ist mit unserer Anlage variabel steuerbar. Durch den Einsatz verschiedener Formdüsen kann die Optik verändert werden. So kann man zum Beispiel von der visuellen Erscheinung eines Rib-Eye-Steaks auf die Form eines Entrecôtes mit dickerem Fettrand und anderer Grobstrukturierung umschalten. Oder man passt die feine Marmorierung für ein vegetarisches Filet Mignon an. Selbst Kochschinken mit seiner individuellen Marmorierung ist machbar, denn bisher sieht veganer Kochschinken eher aus wie Lyoner ohne Marmorierung. Bei unserer Produktionslösung kann der gewünschte Fettanteil automatisch über den Vakuumfüller gesteuert werden.

Der rote Bestandteil basiert auf Weizen. Aber im Unterschied zu anderen plant-based Produkten konnten wir nicht einfach Rote Bete zum Färben verwenden. Denn die rote Farbe würde in das Fett migrieren und es rosa färben. Man braucht also eine rote Masse, die ihre Farbe, auch bei Hitze, behält. Auch das Weiß im pflanzlichen Steak ist als simulierter Fettanteil knifflig. Bislang setzt man hier auf Kokosfett. Es hat den großen Vorteil, dass es bei Körpertemperatur schmilzt. Dadurch wird es in der Pfanne beim Braten schön saftig. Das funktioniert aber nur, wenn man eine Fleischmasse mit Fettpartikeln imitiert. Wenn man nun Kokosfett für ein durchwachsenes Steak verwendet, verflüssigt es sich beim Braten. Dann bleiben in der Pfanne nur noch einzelne Stücke übrig. Damit das nicht passiert, benötigt man ein formstabiles Fett, das sich trotzdem ähnlich wie tierisches Fett verhält. Das alles zeigt, wie komplex und detailreich der Entwicklungsprozess sowohl für die Technik als auch für die Lebensmittelinhalte war. Jeder Bereich musste sehr genau hinterfragt und ausgearbeitet werden.

handtmann-interview-winfried-hartwig.jpg
Winfried Hartwig im Gespräch

4. Hauptgang: Handtmann ist ein Maschinenbauer, aber Sie haben offenbar viel Erfahrung mit pflanzlichen Massen. Können Sie Kunden auch hinsichtlich der Inhaltsstoffe beraten?

Wir stellen seit vielen Jahren Maschinen und Anlagen für ganz unterschiedliche Lebensmittel her. Dadurch haben wir uns ein umfangreiches Wissen über die verschiedenen Prozesse angeeignet. Wir wissen, wie sich Rohstoffe verhalten und welche Viskosität sie benötigen. Deshalb können wir unsere Kunden auch beraten, welche Eigenschaften wir benötigen, um ein erstklassiges Produkt herzustellen: sei es beim Verwenden bestimmter Rohstoffe, beim Verhalten der Masse oder bei den Anforderungen an das gewünschte Endprodukt. Weil wir unsere Kunden und ihre Produkte verstehen und sie auf Ihrem Weg zum gewünschten Ergebnis begleiten, sind wir ein starker Partner durch unsere tiefe und breit gefächerte Expertise.

Wir streben danach, Lösungsanbieter zu sein. Doch je komplexer die Anforderungen werden, desto komplexer muss auch unser Know-how werden. Wir wollen dem Kunden mit Weitblick punktgenau helfen können. Dafür reicht es nicht, zu wissen, was heute und nächste Woche zu tun ist. Dafür müssen wir unsere Hausaufgaben machen, Trends antizipieren, Hindernisse im Vorfeld aus dem Weg räumen. So können wir bei Anfragen bereits Lösungen anbieten, um unsere Kunden schnell vom Labor- in den Industriemaßstab zu bringen. Hinzu kommt, dass wir in der Handtmann Unternehmensgruppe nicht nur den Geschäftsbereich der Füll- und Portioniertechnologie für Lebensmittel, sondern auch den Geschäftsbereich Anlagentechnik mit Technologien für Filtration und Separation haben. Dies ist besonders im Bereich der Fermentation absolut wichtig, da aus unserer Sicht hier die nächste Evolutionsstufe im Bereich der Fleischersatzprodukte liegt.

Bei alternativen Proteinen wird die Textur meistens durch Extrusion hergestellt. Je nach Art des Proteins hat das Produkt einen starken Eigengeschmack, der typisch für Fleischersatzprodukte ist. Da dies nicht jedem schmeckt, werden Gewürze und zum Teil Maskierungsmittel eingesetzt, um diesen Geschmack zu überdecken. Deshalb sind neue Rohstoffe aus dem Bereich der Biomassen Fermentation sehr spannend. Hierbei wird mittels Fermentation das Myzel, also die Wurzel eines Pilzes, in einem Bioreaktor gezüchtet und hat wie der ganze Pilz von Natur aus einen vollmundigen Umami-Geschmack. Zudem besitzen die Myzele eine faserige Struktur und können so dem daraus hergestellten Endprodukt eine sehr gute Textur und Struktur liefern. Dieser Bereich befindet sich derzeit in starkem Wachstum, aber die aktuelle Verfügbarkeit des Rohstoffes ist noch begrenzt. Jedoch beschäftigen sich viele Hersteller mit diesem Bereich. Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg der myzelhaltigen Alternativprodukten in ein bis zwei Jahren. Eine weitere Hürde ist das in diesem Bereich oft der Rohstoff als neuartiger Rohstoff kategorisiert ist und daher eine „Novel Food“-Zulassung benötigt, die auch ihre Zeit in Anspruch nimmt. 

5. Dessert: Wir haben jetzt viel über alternative Proteine gesprochen. Was bevorzugen Sie persönlich: ein Rindersteak oder die pflanzliche Alternative?

Ich bin davon überzeugt, dass man diesen Markt nicht bearbeiten kann, wenn man nicht selbst dafür brennt. Ich esse sehr oft Fleischersatzprodukte, sowohl aus beruflichem, aber auch aus persönlichem Interesse. Zu Hause leben wir vegetarisch. Wenn ich hin und wieder Fleisch esse, ist mir die Herkunft sehr wichtig. Als Flexitarier liege ich genau in der Zielgruppe unserer Kunden. Tatsächlich wird man in diesem Markt aber nur erfolgreich sein, wenn man leckere Alternativen anbietet, die nichts mit Verzicht zu tun haben. Der erste Schritt war die Textur für ein gleiches Mundgefühl. Mit dem zunehmenden Einsatz von Texturaten kommen wir dem immer näher. Bei Chicken Nuggets zum Beispiel kann man keinen Unterschied mehr zwischen pflanzlichem und echtem Geflügel feststellen. Geschmacklich müssen wir noch am Eigengeschmack der Proteine arbeiten, wobei es auch hier schon deutliche Fortschritte gibt. Wenn diese Hürde genommen ist, geht es im nächsten Schritt um die Verkürzung der Inhaltsstofflisten, durch neuartige Inhaltsstoffe wie zum Beispiel das zuvor erwähnte Myzelium. Es gibt bereits pflanzliche Alternativen, die mit sehr wenigen Inhaltsstoffen auskommen. Das erhöht den Innovationsdruck in der Industrie.

Im Jahr 2050 werden zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, deren Proteinversorgung sichergestellt werden muss. Mit den Technologien, an denen wir heute schon arbeiten, denke ich das wir auf einem guten Weg sind, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Herr Hartwig, wir bedanken uns für die Einblicke und das interessante Gespräch!
 

Auch interessant für Sie

Handtmann bietet CSS-Anlagen mit einer Kapazität von 20 bis 1.000 hl/h an
Ganzheitliche Prozesslösung für geformte Produkte
Vakuumfüllmaschine für Cocktailwürstchen
Formsystem „FS 510“ von Handtmann
Gerald Schubert
Markus Sandhöfner, Geschäftsführer B&R Deutschland
Keywords:

Surftipps